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Wie gefährlich ist politisches Engagement?

03:17 Min. Verfügbar bis 06.05.2026

"Ich wähle euch nicht, aber es ist wichtig, dass ihr hier steht"

Stand: 06.05.2024, 21:39 Uhr

In den vergangenen Tagen passierte es gleich mehrfach: Gewalt gegen Politiker auf offener Straße. Wie gefährlich ist es, sich als Politiker in einer Partei zu engagieren? Wir haben mit Vertretern der Grünen und der AfD gesprochen.

Von Solveig Bader und Victor Fritzen

"Das sind die Schlimmsten", ruft ein Passant Richtung Stand der Grünen in Bochum und läuft schnell vorbei. "Wo ist denn die AfD, ich sehe sie nicht", kontert Oliver Buschmann, Mitglied der Grünen-Bezirksfraktion und stellvertretender Bezirksbürgermeister in Bochum-Wattenscheid.

Oliver Buschmann am Grünenstand in der Bochumer Innenstadt neben einem Wahlplakat

Oliver Buschmann am Grünen-Stand in der Bochumer Innenstadt

Der Politiker steht mit seinem Team am Stand in der Bochumer Innenstadt, um Wahlkampf für die Europawahl 2024 im Juni zu machen.

Den rauen Ton auf der Straße bekommen an diesem Montag auch die Nachwuchspolitikerin Anna di Bari (23) und ihr Kollege Timo Eismann (22) zu spüren. Anna di Bari ist seit 2020 für die Grünen im Bochumer Stadtrat, Timo Eismann sitzt in der Nachbarstadt Castrop-Rauxel für die Grünen im Stadtrat. Sie verstärken das Wahlkampfteam in der Bochumer City, verteilen Flyer und versuchen mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen. Die Attacken auf die Grünenpolitiker Rolf Fliß und Kai Gehring in Essen vom vergangenen Donnerstag haben auch sie sensibilisiert.

"Wir werden immer wieder als Kriegstreiber oder Linksfaschisten beschimpft. Aber die Vorfälle in Essen und Dresden haben uns gezeigt, wie schnell Wut auch in Gewalt umschlagen kann, das finde ich beunruhigend." Anna di Bari

Auch ihr Wahlkampfkollege Timo Eismann hat ein mulmiges Gefühl. Er sei am Wochenende in Brandenburg unterwegs gewesen, habe beim Wahlkampf unterstützt und Plakate aufgehängt. Ein Mann habe ihm hinterhergemurmelt: "Dass man sich das überhaupt noch traut".

Er wolle sich davon zwar nicht unterkriegen lassen, aber er mache sich jetzt mehr Gedanken darüber, wenn ihm jemand bedrohlich nahe komme. "Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt aktiven Wahlkampf machen und für Demokratie einstehen".

Personenschutz für Kommunalpolitiker?

Nach den Angriffen auf diverse Politiker erleben die beiden auch Solidarität von Passanten. Eine ältere Dame kommt an den Stand und sagt, wie schlimm sie die zunehmende Gewalt und Verrohung finde. Sie sei besorgt um die Demokratie und deshalb bietet sie dem Team an, auch als Nicht-Mitglied und unabhängig von einer Parteizugehörigkeit beim Plakatieren mitzugehen. So seien mehr Leute am Start und sie müssten weniger Angst vor Angriffen haben.

Anna di Bari und Timo Eismann im Grünenstand in der Bochumer Innenstadt, im Hintergrund Wahlplakate

Anna di Bari und Timo Eismann

Dennoch müsse man über Personschutz für Kommunalpolitiker diskutieren, sagt die Grünen-Politikerin Anna di Bari, so schlimm das auch sei. "Das Sicherheitsgefühl ist wichtig, wenn wir uns schon ehrenamtlich in unserer Freizeit hierhinstellen und Wahlkampf machen."

Geht es nach der Politik, sollen die jüngsten tätlichen Attacken jedenfalls nicht folgenlos bleiben. So machte sich die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) am Montag für mehr Schutz von Kommunalpolitikern stark: "Bisher war es augenscheinlich ein Tabu, darüber zu reden, dass auch Personen außerhalb der Landes- und Bundespolitik Personenschutz bekommen. Dieses Tabu muss nun ein Ende haben." Auch die Parteien im NRW-Landtag fordern harte Strafen und Konsequenzen:

So häufig werden Politiker angegriffen

Die Zahlen zeigen, dass die Übergriffe auf Parteien in NRW im vergangenen Jahr um rund 40 Prozent zugenommen haben. Am häufigsten waren demnach die Landesregierungsparteien Grüne und CDU betroffen.

Auch bundesweit gab es zuletzt mehr Attacken auf Politiker und andere Repräsentanten der Parteien. Demnach wurden vor allem Grüne beschimpft, beleidigt und bedroht. Politiker der AfD dagegen wurden vermehrt körperlich attackiert.

So wie zuletzt vergangenen Samstag in Nordhorn: Dort soll ein Mann den niedersächsischen AfD-Landtagsabgeordneten Holger Kühnlenz erst mit Eiern beworfen und später ins Gesicht geschlagen haben.

Hartmut Beucker, AfD-Landtagsabgeordneter

Hartmut Beucker, AfD-Landtagsabgeordneter

Auch für Hartmut Beucker ist das nicht neu. Vor mehreren Jahren gab es einen Farbanschlag auf sein Wohnhaus in Wuppertal. Derartige Angriffe würden ihn aber nicht einschüchtern, sagt der NRW-Landtagsabgeordnete der AfD am Montag im Interview mit dem WDR: "Ich halte mich für unerschrocken. Das ist eine äußerst unangenehme Begleiterscheinung. An mir ändert das aber gar nichts. Die Umstände sind so, dass es mich eher noch anspornt." Dass auch die Sprache der AfD an der Verrohung des politischen Diskurses Schuld sei, dem widerspricht er entschieden.

Das ist doch die Sprachwahl von allen. Der Ministerpräsident nennt uns Nazi-Partei. Frau Esken, die SPD-Parteivorsitzende, vergleicht uns mit Göbbels. Das ist völlig daneben. Ich habe da absolut kein Verständnis für. Hartmut Beucker, AfD-Landtagsabgeordneter

Wenn es denn so wäre, dass Sprache Gewalt nach sich ziehe, "dann wäre es die Sprache der anderen, die die Gewalt an uns nach sich zieht".

"Ich verabscheue diese Tat"

Die politische Auseinandersetzung sei sicherlich härter als früher. Trotzdem seien Angriffe wie auf den SPD-Politiker Matthias Ecke in Sachsen inakzeptabel. "Ich verabscheue diese Tat in Sachsen total und wünsche dem Kollegen gute Besserung. Hoffentlich geht das schnell."

Ecke war am Freitagabend in Dresden-Striesen beim Plakatieren angegriffen und durch Schläge und Tritte verletzt worden. Er ist sächsischer Spitzenkandidat der SPD für die Europawahl am 9. Juni. Einer der mutmaßlichen Täter wird dem rechtsextremen Spektrum zugerechnet.

"Ich wähle euch nicht, aber wichtig, dass ihr hier steht"

In Bochum ziehen die Kommunalpolitiker ein positives Fazit für den Wahlkampf-Montag. Sie hätten viele Flyer verteilt und seien mit einigen Menschen gut ins Gespräch gekommen. Ein Mann kommt noch an den Stand und sagt: "Jetzt ist die Zeit, um solidarisch miteinander zu sein. Ich wähle euch nicht, aber dennoch ist es wichtig, dass ihr hier steht und für eure Inhalte werbt. Das ist Demokratie."

Quellen:

  • WDR-Reporterin vor Ort in Bochum
  • WDR-Interview mit Hartmut Beucker in Wuppertal
  • Kriminalpolizeilicher Meldedienst
  • Antworten auf Anfrage der AfD an den Landtag und Bundestag

Über dieses Thema berichten wir im WDR am 06.05.24 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.