"Schule ohne Rassismus" - Bild der Projektgruppe an der Gesamtschule Wanne-Eickel

Zehn Jahre "Schule ohne Rassismus"

Hey, du da mit dem Kopftuch!

Stand: 13.12.2011, 06:00 Uhr

Die Debatte um Rechtsextremismus ist in Deutschland stärker als je zuvor: Gegen Rassismus und Diskriminierung engagiert sich die Initiative "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" – bundesweit an mehr als 1.000 Schulen. Darunter: eine Gesamtschule in Herne.

Von Claudia Kracht

Wildes Durcheinander auf dem Hof der Gesamtschule Wanne-Eickel in Herne. Dutzende Kinder toben, raufen, schubsen, schreien oder streiten. Spontan rutschen dabei manchmal fremdenfeindliche, rassistische Parolen raus, die gerade jüngeren Schülern Angst machen, aber auch Ältere verletzen können, berichtet Schüler-Sprecherin Sabrina Hofmann. Worte wie: "Scheiß-Türke, Scheiß-Deutsche, Scheiß-Pole". Ob nur mal nebenbei daher gesagt oder ernst gemeint: Oft sind die Grenzen fließend.

Fast jeder kennt Ausgrenzung persönlich

Solche Hass-Parolen sind an der Schule verpönt. Die meisten Schüler machen mit bei der Initiative "Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage". Robin, Güray, Dominik, viele Schüler haben selbst oder bei ihren Eltern erlebt, was es bedeutet, ausgegrenzt zu werden. Schülerin Melike Bilgin: "Die Geschichte meiner Oma hat mich besonders geprägt: Ihre kurdische Familie wurde in der Türkei verfolgt; sie durfte ihre eigene Muttersprache nicht sprechen." Vor lauter Angst hätten sie sich oft nur heimlich in geschlossenen Räumen unterhalten. Für Melike immer noch ein sehr bedrückendes Gefühl.

Ausgrenzung sofort bekämpfen

Von den 1.100 Schülern der Gesamtschule Wanne-Eickel hat mehr als die Hälfte ausländische Wurzeln. Kulturen mit ungleichen Lebensweisen treffen aufeinander; Konflikte bleiben da nicht aus. Erst kürzlich wurde auf dem Schulhof eine junge Kurdin von ihren türkischen Mitschülern geärgert, bedauert Melike. Das Mädchen war sehr mitgenommen und weinte. "Genau hier beginnt Ausgrenzung", betont Lehrer Tobias Krause. "Und hier setzen wir sofort an." Melike Bilgin ergänzt: "Mit der Schülervertretung haben wir in der Klasse die Situation wiederholt - mit Hilfe eines Rollenspiels. Einzelne Mitschüler wurden in der Klassenmitte - auf gut Deutsch gesagt - beleidigt und beschimpft, um ihnen klar zu machen, was das bedeutet. Ich glaube, das fanden die nicht so gut."

Eine Auszeichnung, für die man was tun muss

"Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage" kann man nicht einfach so nebenher werden. Sondern: Es gibt eigens ein Zertifikat, das von einer Privat-Initiative verliehen wird. 1988 in Belgien gegründet, engagiert sie sich seit Mitte der neunziger Jahre auch in rund 1.000 deutschen Schulen. Voraussetzung für das Zertifikat ist: Mindestens zwei Drittel der Schüler und Lehrkräfte verpflichten sich per Unterschrift, regelmäßig Aktionen gegen Rassismus und Gewalt an der Schule zu veranstalten und bekannte Persönlichkeiten als Paten zu gewinnen. An der Gesamtschule Wanne-Eickel beteiligen sich fast 90 Prozent, freut sich Schulleiter Georg Lantin: "Antirassismus ist bei uns Alltag. Nur so können wir mit so vielen verschiedenen Kulturen friedlich und gut zusammenarbeiten."

Extraschichten für ein gutes Schulklima

Aber dieses Engagement bedeutet auch: harte Arbeit. Etwa: Konzert-Bühnen auf- und wieder abbauen; wochenlang mit der Schul-Band proben; auf der Bühne "rocken gegen rechts"; Stuhlbeine in der Mensa in Länderfarben anstreichen. Güray: "Manchmal taten mir ganz schön die Füße weh, vom vielen hin- und herschleppen, beim Abbau der Bühne". Fast alle haben mitgeholfen, stimmt Dominik ein. Robin, Melike, Sabrina und viele andere Schüler haben Gedichte und Reden vortragen -  oder in akribischer Kleinstarbeit hunderte kleine Zettel an Luftballons gebunden. Darauf zu lesen: "Ihre Wünsche für ein gutes Schulklima". Solche vermeintlich kleine Dinge sollen den Schülern und anderen Bürgern die Augen öffnen, meint Schülerin Xenia Stoain. Sie spielt Bassgitarre in der Schulband. Ihr Vater ist Rumäne, ihre Mutter kubanischer Abstammung. Xenia greift sofort ein, wenn jemand gehänselt wird. "Ich gehe direkt auf die Kinder zu und sage: 'He, hör mal! Lass mal den Jungen in Ruhe! Stell Dir mal vor, Dich würde man so anmachen!"

Antirassismus ist Alltag

"Für unsere Gesamtschule ist die Arbeit gegen Ausgrenzung mittlerweile Alltag", erklärt Lehrerin Deborah Wiemann. "Seitdem wir die Auszeichnung erhalten haben, hat unsere Arbeit aber noch einen ganz anderen Rahmen bekommen. Wir sind nicht nur bei Großveranstaltungen dabei – wie Holocaust-Gedenktage oder städtische Kulturfeste. Sondern wir arbeiten täglich auf der kleinsten Ebene, im Klassenzimmer." Lehrer Tobias Krause: "Es ist wichtig, sich gegenseitig zu respektieren. Wir versuchen alles direkt anzusprechen und wollen die Schüler auch aufklären. Dumme Sprüche über billige Kleidung, Kopftücher oder unterschiedliche Ansichten lassen wir einfach nicht zu!"