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Eskalation - Iran greift Israel an | sv

00:29 Min. Verfügbar bis 14.04.2026

Angriff auf Israel: Wie gefährlich ist die Lage im Nahen Osten?

Stand: 15.04.2024, 17:03 Uhr

Der Iran hat Israel in der Nacht von Samstag auf Sonntag mit hunderten Kampfdrohnen und Raketen angegriffen. Wie kam es zu dieser Eskalation und wie gefährlich ist sie? Fragen und Antworten.

Was ist am Wochenende passiert?

Trotz internationaler Warnungen hat der Iran am Samstagabend Israel mit mehr als 300 Drohnen und Raketen angegriffen. Die ersten Meldungen wurden gegen 22 Uhr vom israelischen Militär bestätigt. In Teilen des Landes wurde daraufhin Luftalarm ausgelöst und die Menschen aufgefordert, sich in der Nähe von Schutzräumen aufzuhalten.

Nach Angaben der Armee heulten die Warnsirenen unter anderem im Süden, am Toten Meer, im Großraum Jerusalem sowie im Norden des Landes. Zeit genug für die Evakuierung war vorhanden, weil insbesondere die iranischen Kampfdrohnen mehrere Stunden brauchten, um das israelische Staatsgebiet zu erreichen.

Zeitgleich wurde Israel auch aus dem Libanon attackiert. Die mit dem Iran verbündete Hisbollah-Miliz feuerte Raketen auf die israelisch besetzten Golanhöhen ab. Auch die jemenitische Huthi-Miliz schickte Kampfdrohnen in Richtung Israel. Gegen drei Uhr gab der israelische Heimatschutz Entwarnung an die Bevölkerung.

Wie schwer wurde Israel getroffen?

Ein Großteil der Drohnen und Raketen konnte offenbar abgefangen werden, noch bevor sie israelisches Staatsgebiet erreichten. Ein israelischer Armeesprecher erklärte, 99 Prozent der Geschosse seien abgeschossen worden. Der Angriff sei damit "vereitelt" worden. Auch die USA erklärten, einen Beitrag zur Abwehr der Flugkörper geleistet zu haben.

Israelischen Quellen zufolge wurde eine Militärbasis im Süden des Landes getroffen und leicht beschädigt. Nach ARD-Informationen sollen bei den Angriffen insgesamt 31 Menschen verletzt worden sein, darunter ein siebenjähriges Mädchen schwer.

Wie gut ist Israel gegen Luftangriffe geschützt?

Außergewöhnlich gut. Mit der "Eisenkuppel" ("Iron Dome"), einem Abwehrsystem gegen Raketen, Artillerie und Mörsergranaten, verfügt Israel über eine der technologisch fortschrittlichsten Verteidigungsanlagen der Welt. Zur Abwehr von Lang- und Mittelstreckenraketen gibt es die Systeme "David's Sling" sowie "Arrow" 2 und 3. Mit der Flugabwehr können Geschosse aus dem Iran, aber auch aus Gaza und dem Libanon vollautomatisch lokalisiert, anvisiert und abgeschossen werden.

Bei dem aktuellen Angriff seien allerdings die meisten iranischen Drohnen bereits über Syrien gestoppt worden, meldet die Agentur Reuters. Israelische und amerikanische Jets hätten sie abgefangen, noch bevor sie ihre Ziele in Israel erreichen konnten, heißt es unter Berufung auf westliche Geheimdienst-Kreise. Auch die jordanische Armee meldet, dass sie Drohnen noch im eigenen Luftraum abschießen konnte.

Wie begründet Iran den Angriff?

Die Regierung in Teheran hatte bereits seit Tagen Vergeltung für einen Anschlag auf seine Vertretung in Damaskus am 1. April angekündigt. Bei dem Angriff mit Raketen waren unter anderem zwei Brigadegeneräle der Revolutionsgarden - einer unabhängigen und mächtigen Elitetruppe innerhalb der iranischen Armee - getötet worden. Der Angriff wird Israel zugeschrieben.

Iraner nach Angriff auf Israel: Im Hintergrund Iran und Palästina Flaggen

Iraner feiern in Teheran

Die israelische Regierung hatte sich nicht zum Angriff auf die Botschaft bekannt, aber auch kein Dementi abgegeben. Das iranische Staatsfernsehen zitierte in der Nacht die Revolutionsgarden mit der Erklärung, die Operation "Wahres Versprechen" sei ein Teil der Strafe für "israelische Verbrechen".

Wie reagiert der Westen?

Die UN, die USA, Großbritannien und die Europäische Union fordern von Israel mit Blick auf eine mögliche Vergeltung Zurückhaltung. Bundeskanzler Olaf Scholz hat sowohl Iran als auch Israel gemahnt, nicht weiter zu einer Eskalation im Nahen Osten beizutragen. Die Bundesregierung bestellte am Montag den iranischen Botschafter in Berlin wegen der Angriffe auf Israel ein.

US-Präsident Joe Biden beim einem Telefonat - Archivfoto von 2021

US-Präsident Joe Biden

US-Präsident Biden lehnt eine Beteiligung der USA an einem möglichen israelischen Vergeltungsschlag ab. "Wir suchen keine Ausweitung des Konflikts", sagte John Kirby, Sprecher für nationale Sicherheit im Weißen Haus.

Wird Israel einen Gegenangriff starten?

Ob Israel mit einem Gegenangriff reagieren wird, ist noch offen. Man diskutiere zurzeit "Maßnahmen", sagte ein hoher Repräsentant der israelischen Armee. Am Montag tagte das israelische Kriegskabinett zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden.

Der Iran warnte Israel ausdrücklich vor einem Gegenschlag. "Die Angelegenheit kann als abgeschlossen betrachtet werden. Sollte das israelische Regime jedoch einen weiteren Fehler begehen, wird die Reaktion Irans deutlich härter ausfallen", schrieb die iranische Vertretung bei den Vereinten Nationen auf der Plattform "X" (früher Twitter).

Der Iran drohte auch den USA mit militärischen Schlägen, wenn sie Israel bei einem Vergeltungsschlag unterstützen. Die US-amerikanischen Stützpunkte in der Region wären dann ein legitimes Ziel, hieß es im iranischen Staatsfernsehen.

Der Iran habe vermutlich damit gerechnet, dass die Angriffe abgewehrt werden, so der Journalist Daniel Gerlach vom Nahost-Magazin "zenith" gegenüber dem WDR. Das Regime habe nach dem Angriff auf die iranische Botschaft in Damaskus Stärke vor den eigenen Anhängern beweisen wollen. "Sie haben sich für einen Mittelweg entschieden: Sie schlagen zurück, aber sie tun das mit großem Vorlauf und letztlich auch ohne empfindliche Ziele zu treffen", so Gerlach.

Droht im Nahost-Konflikt jetzt eine weitere Eskalation?

Andreas Reinicke ist der Direktor des Orient-Institut

Für Nahost-Experte Andreas Reinicke hängt alles von der Reaktion Israels ab.

Im Falle eines israelischen Gegenangriffs kündigte Irans Militärführung an, härter als zuvor zuzuschlagen. Vor allem die Hisbollah im Libanon hat als Verbündete des Irans mit ihrem umfassenden Raketenarsenal die Mittel, Israel noch empfindlicher zu treffen als bisher. Im schlimmsten Fall könnte ein neuer, umfassender Krieg an Israels nördlicher Front entstehen. Andreas Reinicke, Direktor des deutschen Orient-Instituts und ehemaliger EU-Sonderbeauftragter für den Friedensprozess im Nahen Osten, sagte am Montag dem WDR, dass es jetzt sehr darauf ankomme, wie Israel reagiert.

"Iran hat ja zu erkennen gegeben, dass aus seiner Sicht dieser Schlagabtausch beendet ist. Ob nun Israel das auch so sieht, das ist eben die Frage, die man abwarten muss." Andreas Reinicke, Direktor des deutschen Orient-Instituts

Auf diplomatischer Ebene werde aktuell viel dafür getan, den Konflikt eben nicht eskalieren zu lassen, so Reinicke: "Der amerikanische Präsident hat sehr deutlich gesagt, Israel habe gezeigt, dass es einen solchen Angriff abwehren kann und das sei ein Sieg für Israel."

Sowohl die Hisbollah als auch die Huthi-Rebellen begründeten ihre jeweiligen Angriffe mit dem Krieg im Gaza. Beide Seiten hätten angekündigt, aufzuhören, wenn auch der Krieg im Gaza endet. "Der wichtigste Schritt wäre also, dass man hier schnell zu einem Waffenstillstand kommt, um die militärischen Auseinandersetzungen auf anderen Ebenen zu reduzieren", sagt Reinicke.

Auch in Deutschland könnte sich nach Einschätzung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Lage durch den iranischen Angriff und dessen Folgen noch verschärfen. Sie warnte vor mehr Antisemitismus. Die Sicherheitsbehörden seien sehr wachsam und beobachteten, "ob die aktuelle Eskalation durch das iranische Regime Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland hat". Dies betreffe auch den Schutz jüdischer sowie israelischer Einrichtungen in Deutschland.

Woher kommt die Feindschaft zwischen Iran und Israel?

Der Hass auf Israel, der seit Jahrzehnten von der iranischen Führung zelebriert wird, ist eine direkte Folge der islamischen Revolution im Jahr 1979. Zuvor hatte das iranische Schah-Regime im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten in der Region sogar meist freundschaftliche Kontakte zu Tel Aviv gepflegt.

Das Bild zeigt die erste Pressekonferenz im Jahre 1979, in der der iranische Ajatollah Ruhollah Chomeini erklärte, dass ein Revolutionsrat gebildet wurde.

Chomeini (M.) kurz nach der Machtübernahme

Kurz nach dem Sturz des Schahs und der Machtübernahme durch Revolutionsführer Ruhollah Chomeini brach der Iran alle politischen und wirtschaftlichen Kontakte zu Israel ab. Die Zerstörung des "zionistischen Regimes" wurde in der Folge zur iranischen Staatsdoktrin. Zu einer direkten Konfrontation der beiden Staaten war es bisher allerdings nicht gekommen - bis zum Angriff an diesem Sonntag.

Der Iran unterstützt aber seit Langem verbündete Milizen finanziell und logistisch, die sich den Kampf gegen Israel auf die Fahnen geschrieben haben: zum Beipiel die Hamas in Gaza, die Hisbollah im Libanon und die Huthi im Jemen.

Quellen

  • Agenturen dpa, afp und RTR
  • ARD-Korrespondenten in Israel
  • Interview mit Daniel Gerlach im WDR-Fernsehen